11.11.2023
Den inneren Beobachter stärken
„Zwischen Reiz und Reaktion gibt es einen Raum. In diesem Raum haben wir die Freiheit und die Macht, unsere Reaktion zu wählen. In unserer Reaktion liegen unser Wachstum und unsere Freiheit.“
(Viktor Frankl)
Zur Situation
„Ich rege mich auf über einen Kollegen. Er schrieb mir eine Mail mit der Frage, wann er endlich die Unterlagen bekommt. Dabei hat er mir die Vorlage zwei Wochen zu spät geschickt. Soll er erst einmal selbst zuverlässig sein. Denkt der, ich habe nichts anderes zu tun?“, erzählt Sven.
Was dahinter steht: Reiz und Reaktion sowie die Rolle des Inneren Beobachters
Wenn wir unter Druck geraten, verlieren wir schnell eine gesunde innere Distanz zum Geschehen.
- Wir erleben eine Situation (die Mail des Kollegen)
- Und rutschen automatisch in eine emotionale Reaktion: Ärger, Unverständnis, Druck, Stress, Angst, etc.
- Daraus resultiert dann vielleicht eine spontane, unbewusste Reaktion.
Doch zwischen der Situation (dem Reiz) und der Reaktion des Kollegen (der Antwortmail) liegt ein Zwischenraum. Wenn wir diesen nützen, um uns bewusst zu machen, was in uns vorgeht, steigen wir aus dem Reiz-Reaktion-Modus aus.
Eine gute Möglichkeit ist hier die Etablierung des Inneren Beobachters: Dieser ist eine Instanz in uns, die wahrnimmt, was gerade passiert. Der Innere Beobachter ist das Bewusstsein, das uns auch in schlimmeren Situationen hilft, einen Schritt zur Seite zu treten und die Szene mit Distanz zu beobachten. Der Innere Beobachter ist der Aspekt in uns, der sich dessen bewusst ist, was wir erleben, fühlen und denken. Er wertet nicht, greift nicht ein, lehnt nicht ab. Er anerkennt, was im Moment ist.
Dazu eine Kurzgeschichte
Obgleich es des Meisters Tag des Schweigens war, bat ihn ein Reisender um ein Wort der Weisheit, das ihn auf seiner Lebensreise geleiten sollte. Der Meister nickte freundlich, ergriff ein Blatt Papier und schrieb darauf ein einziges Wort: „Bewusstheit.“ Der Besucher war enttäuscht. „Das ist zu kurz. Gebt mir bitte drei Wörter.“ Der Meister nahm das Blatt zurück und schrieb: „Bewusstheit, Bewusstheit, Bewusstheit.“ (nach Anthony de Mello)
Wie kann es gelingen, aus dem Reiz-Reaktions-Modus auszusteigen?
Es geht also um Bewusstheit. Wenn wir uns mit der wertfreien Wahrnehmung des Inneren Beobachters verbinden, agieren wir nicht impulshaft. Wir können die Situation wahrnehmen und dazu innerlich in Distanz gehen. Das schenkt einen inneren Gleichmut. Wie kann es also gelingen, in die Beobachterposition zu gelangen?
Für das Beispiel von Sven bedeutet dies:
- Er liest die Mail seines Kollegen.
- Es entstehen sofort Bewertungen und Emotionen in ihm.
- Anstatt darin verhaftet zu bleiben, begibt er sich in die Beobachterposition und aktiviert seinen Inneren Beobachter. Dieser nimmt all das wahr und spürt nach, wie sich das in seinem Körper anfühlt. Dadurch ist er in diesem Moment ganz in Kontakt mit sich selbst: „Was erlebe ich gerade?“
- Er reflektiert und hat die Wahl zu entscheiden, wie er angemessen auf die Situation reagieren möchte.
- Erst nachdem er sich achtsam dem Augenblick gewidmet hat, schreibt er seine Antwort.
Diesen Raum zwischen Situation (= Reiz) und Reaktion (= Antwortmail) kann er durch regelmäßige Achtsamkeitspraxis erweitern. Er verhindert, dass er sich in Gedanken verstrickt oder von negativen Gefühlen überwältigen lässt. Stattdessen entscheidet er selbst, welchem Gedanken oder Gefühl er folgt und wohin er seine Aufmerksamkeit lenken möchte. Mit der Zeit wird das Dazwischen zu einem Ort der inneren Freiheit.
In aller Ruhe üben
Es ist sehr herausfordernd, in einer akuten Situation, wie oben beschrieben, selbst zu üben. Den inneren Beobachter können Sie am besten einüben, in dem Sie…
- diesen mit Hilfe von Achtsamkeitsübungen in den Fokus nehmen
- dann im Alltag anwenden, wenn Sie sich in Routinetätigkeiten befinden: „Was erlebe ich gerade?“
- Und erst am Ende in Situationen, in denen Sie unter Druck stehen.
Mit Hilfe einer Audioübung können Sie in aller Ruhe üben.